Donnerstag, 14. Juli 2011

Punk's not dead

Ein Sport, der in der Öffentlichkeit allzu häufig belächelt wird, ist Wrestling. Das Ergebnis stehe vorher fest, heißt es, alles abgesprochen, Fake. Richtig, sag ich, aber auch falsch. Doch bevor wir uns damit beschäftigen, was Wrestling zu einer großartigen und verfolgenswerten Sache machen, werfen wir einen flüchtigen Blick auf die momentanen Umtriebe in der WWE, genauer: CM Punk (Protagonist) gegen John Cena (Deuteragonist) gegen Vince McMahon (Tritagonist).

Die Basics
Die drei Hauptpersonen des aktuellen Dramas sind schnell vorgestellt:
    Vince McMahon
  • Vince McMahon ist nicht nur el Cheffe der WWE (was einmal für World Wrestling Entertainment stand, doch mittlerweile ist es ein verwaistes Initialwort - dazu später mehr), er spielt auch einen. Soll heißen: die reale Person ist prinzipiell identisch mit dem in der Show verkörpertem Charakter, nur deutlich überzeichnet. Und da niemand seinen Boss leiden mag, ist "Mr. McMahon" folgerichtig ein "Böser" (Wrestling-Jargon: Heel).
  • John Cena wurde über die letzten Jahre zum neuzeitlichen Hulk Hogan hoch stilisiert, jener schwerfällig Wrestler der 80er und 90er Jahre. Zu diesem Charakter, analog zu seinem Vorbild, gehört die Unbesiegbarkeit. "Super-Cena" ist auch folglich der wenig schmeichelhaft gemeinte Spitzname, den Cena von jenen Fans verpasst bekommt, denen es nicht (nur) um das Spektakel geht, sondern auch um die im Ring gezeigten Leistungen. Die WWE jedenfalls steht hinter Cena, schließlich ist er bei den Kiddies beliebt, und wer kauft wohl die meisten Action-Figuren? Es verwundert jedenfalls wenig, dass bei jeder Show auf den fiepsigen Schlachtruf "Let's Go Cena!" aus hunderten Kinderhälsen stetig ein "Cena Sucks!" in deutlich tieferer Stimmlage folgt.
  • John Cena
  • CM Punk[1] passt äußerlich so gar nicht zu jenen "Superstars" der WWE, die mehr durch aufgepumpte Muskeln und ergo durch Anabolikamißbrauch auffallen als durch Wrestlingfähigkeit. Sein sportliches Vermögen ist unbenommen; groß ist das Repertoire an Moves[2], klein ist die Zahl an Fehlern (Jargon: Botch). Es ist wahrlich eine Freude, CM Punk im Ring zu beobachten. Und nicht nur dort: auch am Mikro ist Punk ein Meister. Seine vergleichsweise mickrige Erscheinung verhindert derweil, dass ihm in der WWE der große Durchbruch gelänge.
Zwei Dinge muss man noch wissen:
  • Im Wrestling herrscht Kayfabe, was bedeutet, dass die Wrestler und andere Akteure in jeder Situation den Schein wahren, Wrestling sei eben nicht abgesprochen. Wer nun denkt, die depperten Wrestling-Fans würden auf dieses Spiel hereinfallen - weit gefehlt! Zwar gibt es manche Fans, die nach wie vor glauben, dass Wrestling nicht abgesprochen ist (Jargon für solche Fans: Marks), doch die sind zumeist noch sehr jung. Die meisten Fans wissen sehr wohl, dass alles im Vorfeld vereinbart ist, doch sie spielen das Spiel ihrerseits mit, weshalb diese gängiste Art der Fans auch Smarks genannt werden (für "Smart Mark"). Das Marks vs Smarks ist anschaulich demonstriert im "Let's Go Cena" / "Cena Sucks".
  • CM Punk
  • Die WWE arbeitet seit geraumer Zeit daran, den Begriff "Wrestling" aus dem Sprachgebrauch ihrer Shows zu tilgen. Die Wrestler sind demnach keine Wrestler, sondern Sports Entertainer oder Superstars. Im Rahmen der oben angesprochenen Verwaisung des Initialworts, eingeleitet im April 2011, geht die WWE tatsächlich so weit, den Kommentatoren jeden Bezug zum Wort "Wrestling" zu untersagen. Bei den eingefleischten Fans stieß das auf wenig Gegenliebe, wie man sich leicht vorstellen kann.

Der Plot
CM Punk fühlt sich völlig zu Recht vernachlässigt von der WWE, nicht hoch genug geschätzt, und verdiene das Recht, zum Spitzenherausforderer auf den Titel ernannt zu werden. CM Punk veranstaltete so allerlei, um endlich den erhofften Titelkampf gegen den Über-Champion Cena zu erhalten. Nach einer Runde Schnee-Engel im Ring[ 3] kam Punks Chance - ein sogenanntes Triple Threat Match: drei Wrestler gegeneinander[4], der Sieger erhält den Titelkampf gegen Cena beim Money in the Bank-Event Mitte Juli.

Im Anschluß an den Kampf gab Punk bekannt, dass sein Vertrag mit der WWE nach Money in the Bank auslaufen würde. Er werde den Titel gewinnen, und diesen dann mitnehmen, weg aus der WWE[4, 5]. Eine Woche später, bei einem Match zwischen John Cena und R-Truth, greift Punk zu Gunsten von R-Truth ein, und Cena verliert das Match (aber nicht den Titel - wohlweislich handelte es sich nicht um ein Titelmatch). Punk nutzt die Gelegenheit, und macht seinem Ärger Luft: er bricht das Kayfabe ("Whoops, I'm breaking the Fourth Wall."), nennt Wrestler bei ihrem bürgerlichen Namen (ein großes No-No) und andere Promotions jenseits der WWE, und beschreibt zielsicher die Frustration vieler Smarks mit dem Programm der WWE[6].

Obwohl Punk diesen vermeintlichen Shoot (Jargon für ein "reales" Ereignis in der "falschen" Welt des Wrestlings) glaubwürdig herüber bringt und im direkten Anschluß Zweifel aufkamen, ob es sich um einen Shoot handelt, und obwohl die WWE ihren Teil dazu beitrag, die Illusion aufrecht zu erhalten (Punk wurde suspendiert, und alle Verweise auf ihn von der offiziellen Site genommen), ist es mittlerweile offenkundig, dass es sich "nur" um einen geskripteten Plot der WWE handelt. Die unterhaltsam vorgetragene, aber letzten Endes wenig überzeugende Vertragsverhandlung zwischen CM Punk und Vince McMahon mit Special Gust John Cena[7, 8] machen das deutlich.

Aber, und das ist die Besonderheit, der Ausgang der Geschichte ist zweifelhaft, alldieweil Punk beim Weggang aus seiner letzten Promotion (Ring of Honor, RoH) eine vergleichbare Nummer abgezogen hat (Titelgewinn, und dann Vertragsunterzeichnung des WWE-Vertrag auf dem Titelgürtel von RoH). Gewinnt Punk, um dann mit dem Gürtel das Weite zu suchen? Gewinnt Cena und poliert so sein Image als Super-Cena auf, um die Marks zu beglücken? Gewinnt Punk, verliert dann aber am gleichen Abend gegen einen weiteren Herausforder, und verlässt dann ohne Titel die WWE? Oder bleibt CM Punk der WWE erhalten? Wie so selten in letzter Zeit geht es um etwas.

Food for Thought: Die extreme Abneigung der WWE gegen den Begriff "Wrestling" verwundert nicht, sondern verärgert nur. Aber was, wenn die WWE dies bewusst eingesetzt hat, um der Story um CM Punk eine Basis zu geben? Zumindest fällt es auf, dass in den letzten Wochen alle Beteiligten, ja sogar "Mr. McMahon", des öfteren die Begriffe "Wrestling" und "Wrestler" gebrauchten.

Money in the Bank wird am kommenden Sonntag (17.7.2011) ausgestrahlt. Wer sich das entgehen lässt, ist selber schuld.

Das Wrestling
Was macht aber Wrestling so großartig? Warum interessiert es überhaupt irgendjemanden, was im und um den Ring passiert?

Der Umstand, dass die Ergebnisse schon vorher fest stehen, ist mitnichten ein Nachteil dieses Sports. Denn solange wir als Zuschauende nicht vorher wissen, wer gewinnt, ist vom Zuschauerlebnis her kein Unterschied festzustellen - was ich nicht weiß ...

Bei anderen verfassten Unterhaltungsformen, seien es Filme, TV-Serien, Romanen, öden Videospielen oder (am ehesten mit der Welt des Wrestlings vergleichbar) Comics, stört es seltsamer Weise niemanden, dass der Ausgang der Geschichte ebenfalls bereits vorher fest steht. Vielleicht liegt es am Label "Sport", dass hier scheinbar mit zweierlei Maß gemessen wird - denn "Sport" suggeriert eine Auseinandersetzung, bei welcher der Bessere gewinnt. Nur: das ist beim Wrestling tatsächlich so. Zwar entscheiden die Booker (die Leute, die Wrestlingkämpfe ansetzen) über Sieg oder Niederlage in jedem Match, doch auf welcher Basis treffen diese Booker ihre Entscheidung? Die Beliebtheit der Wrestler spielt eine Rolle, und diese speist sich aus Charisma und sportlichem Vermögen. Pi mal Daumen: je "besser" der Wrestler, desto größer seine Chancen. Die WWE liegt jedenfalls nicht gänzlich falsch, wenn sie den Schwerpunkt auf Entertainment legt.

Dass die gezeigten Leistungen jenes Label aber sehr wohl verdienen, sollte außer Frage stehen. Nicht nur agile Sportler wie CM Punk wissen hier mit den dargebotenen Leistungen zu begeistern. Und das Austeilen ist nur die halbe Miete - ein Wrestler ist dann gut, wenn er auch überzeugend einstecken kann. Im Ideal- und Regelfall kommt niemand ernsthaft zu Schaden, doch die Zuschauenden dürfen sich gerne wundern, ob hier nicht doch Verletzungen davon getragen wurden.

Die durchexerzierten Geschichten sind nicht neu, und können es auch nicht sein. Gutes Wrestling konzentriert sich auf die einfachen Stories des Kampfes Gut gegen Böse. Der "gute" Wrestler (Jargon: Face), mit dem Publikum auf seiner Seite, versucht, gegen den entweder übermächtigen oder unfairen "bösen" Wrestler (Heel) zu bestehen. Der Weg ist das Ziel.

Zu selten im modernen Wrestling kamen in den letzten Jahren große Überraschungen an den Start. Gerade John Cena und sein "unbeugsamer Wille", der ihn noch nach der saftigsten Tracht Prügel triumphieren lässt (erneut: Hulk Hogan lässt grüßen) war in jüngster Vergangenheit anschauliches Beispiel dafür, was falsch läuft in der WWE. Denn dass am Ende das Gute siegen wird, mag klar sein; wenn aber das Gute wenig überzeugende Comebacks aus dem Nichts startet, wird Wrestling zur Karikatur seiner selbst.

Die aktuellen Geschehnisse um CM Punk lassen auf ein Umdenken in der WWE hoffen. Ob sich diese Hoffnung bestätigt, wird Money in the Bank zeigen - ein Grund mehr, dieses Großereignis (endlich, endlich wieder mal ein WWE-Event, welches diese Bezeichnung verdient) nicht zu verpassen.

2 Kommentare:

  1. Falls ich bei Lesenden mit diesem Beitrag Illusionen zerstört haben sollte, so tut mir das leid. Aber Wrestling ohne Schmerz wäre kein Wrestling.

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  2. Oh nein - alles nur fake??

    Nee, Spaß beiseite, kleine Anmerkung zu folgendem Absatz:
    "Eine Woche später, bei einem Match zwischen John Cena und R-Truth, greift Punk zu Gunsten von R-Truth ein, und Cena verliert das Match (aber nicht den Titel - wohlweislich handelte es sich nicht um ein Titelmatch)"

    Selbst wenn es ein Titelkampf gewesen wäre, bei normaler Stipulation wechselt der Titel nur bei Sieg via pinfall (auszählen) oder submission (aufgeben) - im Gegensatz zu no-holds-barred-Matches (quasi alles erlaubt). Daher sehr beliebt bei heels, wenn sie im Titelmatch zu verlieren drohen, einfach mal Selbigen über die Rübe (mittlerweile den Rücken, denn Sachen auf den Kof hauen ist neuerdings böse aka nicht familienfreundlich und somit verboten) des Kontrahenten ziehen. Dies ermöglicht dann ein Rematch mit Stipulation. Längere Storyline bedeutet leider nicht immer spannendere Geschichte, aber auch da gibt es Highlights. Niemand will nach der ersten Konfrontation ein hell-in-the-cell-Match sehen. Wrestling ist eben nicht nur Sport sondern auch eine Geschichte und da gilt es den Spannungsbogen vernünftig aufzubauen. Really? Really!

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